Einer der meistgesuchten Bleistifte der vergangenen Jahrzehnte ist der IBM Electrographic. Aber warum? Und was hat es mit diesem Stift auf sich?
Bereits im 19. Jahrhundert versuchte man, Handgeschriebenes maschinell zu reproduzieren. Die dazu entwickelte Maschine konnte die elektrische Leitfähigkeit von Zeichen auf einer Oberfläche erkennen, und so erstellte man die Vorlagen mit isolierender Tinte auf leitendem Beschreibmaterial (frühe Systeme nutzten Stanniol-beschichtetes Papier). Erfolg mit der Maschinenlesung hatte jedoch erst IBM mit der IBM 805 Test Scoring Machine, die im Jahr 1937 markteingeführt wurde. Die IBM 805 maß den Widerstand von Bleistiftmarkierungen an definierten Positionen auf dem Papier und verglich das so erkannte Muster mit einem in der Maschine hinterlegten Schlüssel, womit sich z. B. große Mengen von Prüfungsbögen automatisch auswerten ließen. Diese unter dem Markennamen „Mark Sense“ eingetragene Technik wurde später noch für andere Zwecke genutzt, u. a. zum Stanzen von Lochkarten entsprechend der Markierungen (IBM 513 und IBM 514). 1962 kam der IBM 1230 Optical Mark Scoring Reader auf den Markt, der die Zeichen anhand ihres Reflexionsgrades oder ihrer Lichtdurchlässigkeit las; 1963 wurde die IBM 805 vom Markt genommen. – Was also lag näher, zu der Technik auch gleich die Bleistifte zum Ausfüllen der Bogen anzubieten?
Zunächst ein kurzer Blick auf die Gestaltung. Das runde „Globus“-Logo auf der Rückseite wurde 1924 eingeführt und war bis 1946 in Gebrauch. 1947 kam das erste Logo aus drei Großbuchstaben, zuerst im Font Beton Bold. Die Variante auf den Schmalseiten und der Vorderseite – ebenso wie der Text darunter in der City Medium von Georg Trump – begleitete IBM ab 1956; ihr folgte 1967 die Ausführung mit den dreizehn waagrechten Streifen (1972 kam die Form mit acht Streifen). Kurz: Die Rückseite passt zum Corporate Design bis 1946 und die Vorderseite zu dem ab 1956. Die gezeigten Stifte stammen also vermutlich aus der Zeit zwischen 1956 und 1967.
Das Dutzend des IBM Electrographic, das ich vor kurzem ergattern konnte, hat alters- und lagerungsbedingte Spuren: Die Karton-Banderole ist vergilbt, die ungespitzten Enden mancher Stifte sind etwas angestoßen und die Radierer sind hart. Ein paar Bleistifte sind leicht gekrümmt, was ich auf Fertigungsmängel zurückführe.
Der sechsflächige Bleistift hat einen Durchmesser von 7,6 mm (Schlüsselweite 7 mm). Die Kombination aus schwarzem Lack, weißem Prägedruck, silberfarbener Zwinge und rotem Radierer macht sich gut, doch bei näherem Blick zeigen sich Mängel, die den Eindruck trüben: Der Lack ist zwar dick, aber uneben, und die Schrift von mäßiger, schwankender Qualität, denn manche Buchstaben laufen zu oder ineinander. Zudem sitzen einige Minen nicht ganz zentrisch – ein Mangel, der im Gegensatz zu den oben genannten den Gebrauch des Bleistifts beeinträchtigt. – Ich gehe davon aus, dass IBM die Bleistifte zugekauft hat, aber es gibt nichts, was auf den Hersteller hinweist; sogar die Blindprägung fehlt.
Das Holz, dessen Farbe und Maserung für Zeder spricht, bekommt im Handspitzer eine vergleichsweise rauhe Oberfläche, macht im Kurbelspitzer (hier: der Carl Decade DE-100) aber eine gute Figur. Die 2,4 mm dicke Mine, die ein wenig fettig wirkt und keine ganz saubere Abgabe hat, schreibt leicht und glatt. Sie ist nur mäßig wischfest, aber recht homogen, sehr gut schwärzend und bemerkenswert gut radierbar. Ihre Spitze hält nicht lange, denn die Mine ist weich; ihr Härtegrad entspricht etwa dem des STAEDTLER Mars Lumograph 4B.
Es gab mindestens zwei Varianten des IBM Electrographic, wie dieses Foto zeigt. Neben der sechsflächigen (oben) war auch eine runde (unten) mit einem Durchmesser von 7,5 mm auf dem Markt; mehr zu dieser unter „IBM Electrographic pencil“ bei pencil talk. Danke an Stephen für dieses Exemplar! – Man beachte die Unterschiede der für die Beschriftung genutzten Fonts. Während der untere der City Medium entspricht, so weicht der obere mit seinen Rundungen deutlich ab.
Der IBM Electrographic hat zweifellos seinen Reiz, und wer Spaß an historischen oder ungewöhnlichen Bleistiften hat, wird auch an ihm Gefallen finden.
Und wie ist es um die für das „mark sensing“ so wichtige Eigenschaft, nämlich die elektrische Leitfähigkeit, bestellt? Ich konnte es nicht lassen, dies rasch zu prüfen.
Die Leitfähigkeit ist definiert als σ = I/U × L/A mit I = Stromstärke, U = Spannung, L = Abstand der Kontakte und A = Querschnitt des Leiters. Für die einfache qualitative Betrachtung reicht es zu wissen, dass σ proportional zum Kehrwert des Widerstands (R = U/I) ist. Dazu habe ich mit dem IBM Electrographic eine Fläche gut abgedeckt und dies zum Vergleich auch mit dem STAEDTLER Noris B und dem STAEDTLER Lumograph 4B gemacht; an gleichgroßen Stücken daraus habe ich dann den Widerstand bestimmt.
Normiere ich nun 1/R (IBM) = 1/Ω, so erhalte ich für 1/R (Noris) = 0,11/Ω und für 1/R (Lumograph) = 0,77/Ω. Dies bestätigt zwar die signifikant bessere Leitfähigkeit des IBM Electrographic gegenüber dem Noris B, setzt ihn aber nicht nennenswert vom Lumograph 4B ab. – Unklar ist, ob die Mine noch andere, für den Prozess wichtige Eigenschaften aufweist (z. B. für die Abfrage der Markierungen über die Bürstenkontakte in der IBM 805) und ihre Rezeptur in Zusammenarbeit mit IBM entwickelt wurde.
Bei der Beschäftigung mit diesem Thema kam mir noch ein ganz anderer Gedanke: Während die Schrift eines Bleistifts normalerweise von einem Menschen gelesen wird, so war die des IBM Electrographic für die Verarbeitung durch eine Maschine gedacht. Der Bleistift als Mensch-Maschine-Schnittstelle – das finde ich reizvoll.
Nachtrag vom 23.8.18: In The How and Why of IBM Mark Sensing (1949) macht IBM eine – wenn auch recht ungenaue – Angabe zur Zusammensetzung der Mine des Electrographic (zum Vergrößern anklicken):
Nachtrag vom 24.8.18: Ein anderer Bleistift für den gleichen Zweck war der STAEDTLER Mars Impulsograph 108 70.