Ein neuer und in mehrfacher Hinsicht bemerkenswerter Fund zur Geschichte des Handspitzers „Granate“ führt in das Jahr 1890 und damit noch weiter zurück als bisher.
Am 6. Oktober 1890 meldete Ewald Breitscheid aus Köln beim Schweizerischen Eidgenössischen Amt für geistiges Eigentum seine Erfindung „Neuerung an Bleistiftspitzern“ an und am 15. April 1891 wurde sein Patent Nr. 2894 veröffentlicht.
Darin heißt es einleitend:
Der nachfolgend beschriebene neue Bleistiftanspitzer ist dadurch charakterisirt, dass er dem Messer, welches zum Zwecke des Schleifens leicht abgenommen und wieder angesetzt werden kann, eine vollständig feste Auflagefläche bietet, so dass das Messer beim Schneiden nicht vibriren kann und eine schöne glatte Fläche herstellt.
Das Dokument schließt mit dem Patentanspruch:
Ein Bleistiftanspitzer, bestehend aus dem mit konischer Bohrung k und Seitenausschnitt e, d versehenen Gehäusemantel a, dessen Ausschnitt so angeordnet ist, dass derselbe eine zur Bohrung des Konus k nahezu tangential verlaufende Fläche d besitzt, auf welcher das Messer f durch Schrauben g, h befestigt ist.
Der patentierte Spitzer ist also der erste, der über ein vollständig aufliegendes Messer verfügt. Die konische Bohrung wird zwar nicht als für die Erfindung charakteristisch aufgeführt, aber im Patentanspruch erwähnt (ob der Schutz auch für diese galt, bezweifle ich, denn meines Wissens gab es sie bereits 1852 beim „Pencil Cutter and Sharpener“ von A. Marion & Co.). Damit hat Ewald Breitscheid den modernen Handspitzer erfunden.
Die Beschreibung des Spitzvorgang könnte – abgesehen von der Schreibweise – heute verfasst worden sein:
Beim Einführen eines neuen Bleistifts in die Bohrung i gelangt dasselbe zuerst an den unteren Theil der Schneidkante des Messers f und wird nun durch Drehen und Hineindrücken in den Konus k verjüngt und zugespitzt, so dass es immer tiefer in den Konus k hineindringt und von einem immer größeren Theil des Messers bearbeitet wird.
Nachdem das Holz des Bleis dann in dieser Weise den ganzen Konus durchlaufen hat, gelangt die Bleieinlage allein in die Durchbohrung l und wird nun hier von dem obersten Theil der Schneidkante völlig zugespitzt, womit die ganze Operation beendet ist.
Und wie sah der Spitzer aus? Diese Zeichnung gibt Aufschluss.
Das ist die Geburtsurkunde des Spitzers, der gut zehn Jahre später den Markennamen „Granate“ bekommen und unter diesem bekannt werden sollte.
Moment, werden jetzt einige sagen, das Patent stammt doch aus der Schweiz, und Ewald Breitscheid kam aus Deutschland. Gab es kein deutsches Patent? Nein, das gab es nicht, denn die Jahre von 1884 bis 1894 waren eine patentamtslose Zeit in Deutschland, und so wichen Erfinder auf benachbarte Länder aus. Beliebt waren die Schweiz und Dänemark, und so kam Ewald Breitscheid zu einem Schweizer Patent (der Schutz bestand dann auch nur in der Schweiz).
Für die Positionen und die vollständige Beschreibung verweise ich auf das Patentdokument, doch zwei Punkte seien hervorgehoben, da diese schon recht bald nach Erteilung des Patents geändert wurden:
- Der Ausschnitt im Körper des Spitzers ist rechtwinklig, wobei die eine Fläche beinahe senkrecht und die andere nahezu tangential zur konischen Bohrung verläuft.
- Zu den beiden Schrauben, mit denen das Messer befestigt ist, wird vorgeschlagen, dass man sie „zweckmäßig etwas groß macht und an der Seite des Kopfes mit kleinen Riefen oder Rillen versieht, damit man sie und somit auch das Messer einfach durch Hand lösen und entfernen kann“.
Gegen Ende geht es um die Gestaltung für eine sichere Handhabung des Spitzers:
Um den Bleistiftanspitzer beim Arbeiten gut halten zu können, ist derselbe auf der äusseren Fläche mit Hohlkehlen und kreuzweise angeordneten Riefen oder Rillen versehen, wie diess Fig. 1 und 2 zeigt; doch kann natürlich für diesen Zweck auch jede beliebige andere Methode gewählt werden.
Damit kam – eigentlich nebenbei – ein typisches Merkmal der „Granate“ in die Welt, das seitdem unverändert ist, nämlich die vier Rändelungen. Auch die für die Funktion des Spitzers ebenfalls nicht notwendige Verjüngung am Ende blieb erhalten.
Während also der zentrale Aspekt des patentierten Spitzers – das vollständig aufliegende Messer – zum Standard wurde, ist sein Design, das nicht zum Patentanspruch gehörte, auch heute noch etwas Einzigartiges.
Handelt es sich bei der unter „Reise ins 19. Jahrhundert“ gezeigten „Granate“ um das ursprüngliche Modell? Vieles spricht dafür.
Es fällt jedoch sofort auf, dass das Messer und die Schraubenköpfe etwas anders geformt sind. Ich kann mir vorstellen, dass die untere Ecke des Messers störend über die Rändelung herausgeragt hat und und daher schon früh abgerundet wurde. Bei den Schrauben wird man schnell erkannt haben, dass sie aufgrund ihrer Größe selbst mit Rillen nicht gut von Hand zu betätigen sind, und hat sie einfacher ausgeführt.
Beim Blick auf den Stifteinlass in der Zeichnung überrascht dessen geringer Durchmesser. Mich würde nicht wundern, wenn er zu klein geraten wäre, denn der grafisch ermittelte Spitzwinkel beträgt gerade einmal 14°. Alle anderen Maße stimmen proportional weitgehend mit denen der alten „Granate“ überein.
Und wie unterscheidet sich die aktuelle von der Ur-„Granate“?
Die moderne „Granate“, heute von Möbius+Ruppert in Erlangen gefertigt, ist mit 15 mm genau so dick wie die alte, aber bei fast gleichlangem Messer 5 mm kürzer und etwa 20% leichter. Das Messer liegt in einem Bett, so dass es durch Formschluss vor dem Verdrehen geschützt ist und eine Schraube ausreicht. Der Ausschnitt ist 120° statt 90° groß, wodurch die Späne besser abfließen können, und durch die dreimal so große Austrittsöffnung lassen sich Holz- und Minenreste leichter entfernen. Die Rändelungen sind etwas feiner und die Nuten schmaler und flacher, so dass der Spitzer gefälliger ist; dazu trägt auch das bündig abschließende Messer bei. Doch trotz dieser Verbesserungen ist ihr Charakter geblieben, und so hätte man die neue „Granate“ auch 1891 sofort erkannt.
Wie so oft bleiben Fragen. Wer hat den Spitzer von Ewald Breitscheid damals hergestellt? Gibt es deutschsprachige Veröffentlichungen aus der damaligen Zeit, in der für ihn geworben wurde? Welche Erfahrungen und Überlegungen führten wann zu den konstruktiven Änderungen?
Auch wenn die zentrale Frage zur Geschichte der „Granate“ jetzt beantwortet sein dürfte, so bleibt es doch interessant!