Die Pressschraube
Ein charakteristisches Merkmal des als „Granate“ bekannten Handspitzers habe ich bisher nur nebenbei erwähnt, nämlich die Befestigung des Messers mit einer Rändelschraube und zwei Stiften. Diese war – wenn auch nicht von Anfang an – viele Jahrzehnte üblich, zeichnet die meisten der heute noch antiquarisch erhältlichen Exemplare aus und ist meines Wissens bei keinem anderen Spitzer zu finden. Doch wann und durch wen kam es dazu? Antworten darauf liefert dieser Beitrag.
Mit seinem am 15. April 1891 veröffentlichten Patent „Neuerung an Bleistiftspitzern“ erfand Ewald Breitscheid den Spitzer, der ab 1901 „Granate“ heißen sollte. Dieser hatte eine konische Bohrung und – das war neu – ein vollständig aufliegendes Messer, das sich bei Gebrauch nicht abhob, gegen Verdrehen gesichert war und zum Schleifen oder Austausch leicht abgenommen werden konnte. Damit kann die „Granate“ als Urform des modernen Handspitzers gesehen werden.
Eineinhalb Jahre nach dem Patent Ewald Breitscheids folgte ein weiteres zum Spitzer, diesmal unter dem Namen des Unternehmens, das er und Wilhelm Möller 1869, also 23 Jahre zuvor, in Köln gegründet hatten. Am 22. Juli 1892 meldeten sie beim Schweizerischen Eidgenössischen Amt für geistiges Eigentum ihre Erfindung „Bleistiftspitzer mit auswechselbarem durch Pressschraube und Stellstifte gehaltenem Messer“ an und am 30. November 1892 wurde ihr Patent Nr. 5335 veröffentlicht.
In der Patentschrift wird die Erfindung wie folgt beschrieben1:
Der in der Zeichnung dargestellte Bleistiftspitzer, Fig. 1, besteht aus einem mit Längenausschnitt a versehenen Drehkörper b, bei welchem auf der einen Seite des Ausschnittes ein Messer c angeordnet ist, welches durch eine Pressschraube d fest auf die Auflagefläche gedrückt und durch zwei Stellstifte e in seiner Lage gesichert wird. Das Messer kann bei dieser Anordnung nach Stumpfwerden, resp. nach dem bei wiederholtem Schleifen eintretenden Schmälerwerden nach Ablösung der Pressschraube d entfernt und gegen ein neues Messer, Fig. 2, ausgewechselt werden, wobei dieses dann mittelst der Stellstifte e ohne jede Regulirung sofort die richtige Schneidlage erhält.
Beim Blick auf die Zeichnung überraschen die Proportionen; ich denke nicht, dass sie der Realität entsprachen. – Die beiden Schrauben wurden also durch eine Pressschraube2 und zwei Stellstifte ersetzt. Der Patentanspruch fasst es zusammen:
Ein Bleistiftspitzer, bei welchem in dem Ausschnitt a des durch einen Drehkörper b gebildeten Gehäuses ein auswechselbares Messer c angeordnet ist, welches durch eine Pressschraube d gegen Abheben und durch einen oder mehrere Stellstifte e gegen Seitenbewegungen gesichert ist.
Hatten vorher zwei Schrauben sowohl für den Kraft- als auch den Formschluss gesorgt, so übernahmen die beiden Stifte letzteren und die Pressschraube drückte nur das Messer an. Zudem ließ sich das Messer leichter abnehmen, da statt zwei Schrauben nur noch eine gelöst werden musste und für diese obendrein kein Werkzeug nötig war3.
Und wie passen dieses Patent und die Meldung vom 17. November 1892 zusammen, nach der die Boyd & Abbot Company den in den USA als „Cartridge“ bekannten Spitzer verbessert und mit einer „thumbscrew“ – also vermutlich Rändelschraube – ausgestattet hat? Sie erschien keine zwei Wochen vor der Veröffentlichung des Patents von Möller & Breitscheid, und so hatte man offenbar unabhängig voneinander die gleiche Idee (für einen Vergleich müsste man natürlich die Details der Änderung durch Boyd & Abbot kennen.)
Der Umstand, dass bei dieser „Granate“4 die Bohrungen im Messer deutlich größer sind als die Stifte, könnte Zweifel am Formschluss aufkommen lassen. Wichtig ist aber nur, dass das Messer daran gehindert wird, der beim Spitzen wirkenden Kraft auszuweichen, sich also vom Bleistift radial wegzubewegen, und das ist gewährleistet. – Interessant zu wissen wäre, ob man das Messer dadurch etwas dicker machen musste, weil es nur noch in der Mitte gehalten wurde und prinzipiell die Möglichkeit bestand, dass es sich an den Enden zumindest leicht anhob.
Die Funktion der Stifte übernahm später das Messerbett, was auch die Herstellung des Messers vereinfachte. Die Schraube aber ist geblieben5, und so lebt in jedem heutigen Handspitzer mit verschraubtem Messer die Pressschraube von Möller & Breitscheid aus dem Jahr 1892 weiter.
- Die Schreibung entspricht der im Patentdokument.↩
- Ich benutze die Begriffe „Pressschraube“ und „Rändelschraube“ synonym. Der erste beschreibt die Funktion und der zweite die Form, und auch wenn „Pressschraube“ heute nicht mehr üblich ist, bleibe ich im Zusammenhang mit dem Patent dabei.↩
- Ich habe auch schon Exemplare der „Granate“ gesehen, deren Schraube gerändelt und geschlitzt war.↩
- Sie trägt die Kennzeichnung „W.Z. № 507558“, die auf das 1939 eingetragene Warenzeichen von Möller & Breitscheid hinweist. – Sehr ähnlich war das Modell 14/I von Möbius+Ruppert aus dem Jahr 1938.↩
- Ihre Form hat sich jedoch über die Jahrzehnte geändert, denn nach der Rändel- kam zunächst eine Schlitz- und dann eine Kreuzschlitzschraube (siehe „Generationentreffen).↩