Das bekannteste und umfangreichste Buch über den Bleistift ist „The Pencil“ des US-amerikanischen Autors Henry Petroski aus dem Jahr 1989.
1995 erschien die deutsche Ausgabe „Der Bleistift“. Diese enthält einen 30-seitigen Anhang zur Unternehmensgeschichte von Faber-Castell, hat einen Schutzumschlag mit einem stilisierten Faber-Castell 9000 und und wurde – zumindest im Fall meines Exemplars – zusammen mit einem 9000 verkauft. Doch es gibt weitere Unterschiede, die sich allerdings erst beim direkten Vergleich einzelner Passagen zeigen.
Bei meiner Recherche zum Holz des Faber-Castell 9000 bin ich in der deutschen Ausgabe auf folgenden Abschnitt gestoßen (Seite 73):
Der Holzkörper wird sehr wahrscheinlich aus dem Holz der Kalifornischen Flußzeder (Inszentzeder) oder der brasilianischen Pinie gemacht sein, der Ring möglicherweise aus Messing oder Aluminium aus dem amerikanischen Westen, und der Radiergummi ist vielleicht eine Mischung aus südamerikanischem Gummi und italienischem Bimsstein.
Da ich zur brasilianischen Pinie keine verlässlichen Informationen finden konnte, habe ich ins Original geschaut. Dort heißt es (Seite 67):
The wooden case would most likely be made of western incense cedar from California, the ferrule possibly of brass or aluminum from the American West, and the eraser perhaps of a mixture of South African rubber and Italien pumice stone.
Die brasilianische Pinie wird also im Original gar nicht erwähnt. – Eine Überraschung gibt es auch im Abschnitt zur Geschichte der Polymermine (Seite 260):
Über sechzig Millionen mechanische Bleistifte wurden jedes Jahr abgesetzt, und der allerneueste Verkaufsschlager war der Bleistift mit einer noch feineren «feinlinigen» Mine mit einem Durchmesser von 0,5 Millimetern – eine Errungenschaft, die es bei Zeichenbleistiften schon seit 1961 gab.
Viele der superdünnen Bleistiftminen kamen bald aus Japan, wobei einige einen Durchmesser von nur 0,3 mm hatten, aber inzwischen beherrschen die traditionellen deutschen Bleistifthersteller ebenfalls diese Technologie. Ende der siebziger Jahre war Faber-Castell in Stein bei Nürnberg das einzige Unternehmen außerhalb Japans, das die neuartigen Minen in Großserie und nach eigener Rezeptur herstellen konnte. Da keramische Minen nicht stabil genug sind, um so fein gemacht zu werden, waren die neuen Minen nur durch die Beimischung von Plastik in einem Polymerisationsverfahren möglich.
Angeregt durch die Hineinübersetzung der brasilianischen Pinie habe ich zum Original gegriffen (Seite 272):
Over sixty million mechanical pencils were being sold each year, and the hottest new seller was the pencil using an even finer “fine line” lead with a diameter of about 0.02 inch (0.5 millimeter), something that had been available for drafting pencils as early as 1961.
Most of the ultra-thin lead pencils were soon of Japanese origin, some with lead as thin as 0.01 inch (0.3 millimeter), but the traditional German pencil manufacturers have also mastered the new technology. Since ceramic leads are not strong enough to be made so thin, the new leads have been made possible only by incorporating plastics in a polymerization process.
Den Satz „Ende der siebziger Jahre war Faber-Castell in Stein bei Nürnberg das einzige Unternehmen außerhalb Japans, das die neuartigen Minen in Großserie und nach eigener Rezeptur herstellen konnte“ gibt es also nur in der deutschen Ausgabe.
Manche Änderungen gehen tiefer. Zur Stabilität der Bleistiftspitze heißt es in der Übersetzung (Seite 233):
Diese Kombination aus Minen- und Holzbehandlung nannte Eagle das «Chemi-Sealed»-Verfahren. Damit konnte das Unternehmen bei seinen Mikado-Bleistiften die Stabilität der Spitze angeblich um 34 Prozent erhöhen, was die Verkaufszahlen um 40% steigerte. Andere Hersteller entwickelten ihre eigenen Methoden für eine stabilere Bleistiftspitze. So ließ sich beispielsweise Faber-Castell ein Verfahren patentieren, durch das die Minen fest mit dem Holz «verschweißt» wurden («Secural-Verfahren»). Die verschiedenen Verfahren verhinderten außerdem, daß die Mine im Holz zerbrach, wenn man den Bleistift fallen ließ.
Im Original klingt das anders (Seite 244):
The combination of lead and wood treatment was termed by Eagle the “Chemi-Sealed” process. It is what enabled the company to claim a 34 percent increase in point strength for its Mikado pencils, and sales increased by 40 percent. Other manufacturers developed their own means of achieving a stronger pencil point, and the various processes go under such names as “Bonded”, “Super Bonded”, “Pressure Proofed” and “Woodclinched”. These processes also prevented the lead from breaking up inside the wood if the pencil was dropped.
An dieser Stelle der deutschen Fassung wurde also nicht nur ein Satz hinzugefügt, sondern auch ein anderer gekürzt, wobei Details verloren gingen. – Im Kapitel „Technisches Zeichnen“ findet sich (Seite 219):
Ingenieure verwenden bei ihren technischen Zeichnungen im allgemeinen keine Bleistifte, die weicher als H sind, doch sie benutzen weichere Härtegrade zum Abpausen und Skizzieren. Architekten und Künstler bevorzugen gewöhnlich die weicheren Bleistifte, besonders in Kombination mit Strukturpapier. Die Bleistiftfabrikanten wissen das natürlich. Faber-Castell-Bleistifte sind zum Beispiel in Kästen gemäß ihrem Verwendungszweck abgepackt: Design-Set (5H bis 5B), Zeichner-Set (9H bis B) und Künstler-Set (2H bis 8B).
Dazu gibt es eine Härtegradtabelle der Firma A.W. Faber-Castell. Im Original lautet dieser Absatz (Seite 230):
Engineers generally do not use pencils softer than H on their mechanical drawings but will use softer grades for tracing and sketching. Architects and artists tend to prefer the softer pencils, especially in combination with textured papers. Pencil manufacturers know this, of course, and Derwent pencils, for example, are packaged in sets according to their intended use: Designer Set (4H to 4B), Draughtsman Set (9H to B), Sketching Set (H to 9B).
Die Härtegradtabelle ist im Original nicht enthalten, dafür eine Übersicht der Schattierungen von 17 verschiedenen Koh-I-Noor-Bleistiften. Die Bleistiftsets von Derwent wurden also durch die von Faber-Castell ersetzt und die Illustration von Koh-I-Noor durch die Tabelle von Faber-Castell.
Beim Blick auf die Anhänge fallen weitere erhebliche Änderungen auf, denn die Anhänge A („[F]rom “How the Pencil is Made,” by the Koh-I-Noor Pencil Company“) und B („A Collection of Pencils“) fehlen in der Übersetzung. Das ist besonders im zweiten Fall sehr bedauerlich, denn in diesem Anhang gibt der Autor einen Einblick in seine Bleistiftsammlung und beschreibt seine Suche nach ungewöhnlichen Exemplaren. – Die unterschiedliche Anzahl der Einträge zu Faber-Castell in den Indizes beider Ausgaben lassen weitere Abweichungen vermuten.
Ich habe in der deutschen Ausgabe nach Hinweisen (z. B. auf eine Mitwirkung von Faber-Castell) gesucht, aber keine gefunden; dies macht die Eingriffe für mich noch ärgerlicher.
So verdienstvoll es auch war, eine deutsche Ausgabe dieses sehr guten Buchs auf den Markt zu bringen: Auf die Änderungen zu Gunsten Faber-Castells und die Streichungen im Anhang hätte man meiner Ansicht nach besser verzichtet.