Für den Schriftsteller Erich Kästner muss der grüne Bleistift eine besondere Bedeutung gehabt haben, denn im Vorwort zu seinem Kinderroman „Das fliegende Klassenzimmer“ aus dem Jahr 19331 hat er ihn gleich mehrmals erwähnt.
Damit war alles entschieden. Ich packte schleunigst meinen Koffer, legte den Tennisschläger, den Badeanzug, den grünen Bleistift und furchtbar viel Schreibpapier hinein und fragte, als wir schwitzend und abgehetzt in der Bahnhofshalle standen: „Und wohin nun?“
Die Frage war verständlich, versuchte er doch im August dem Sommer zu entfliehen, um das passende Umfeld für seine Arbeit an einer Wintergeschichte zu finden. Dem Rat seiner Mutter folgend reiste er an die Zugspitze – und konnte dort im besten Wetter und im Freien arbeiten. Ein regelmäßiger Besucher an seinem wackeligen Tisch auf einer großen Wiese war Eduard, ein braunes Kalb, das ihn abends abholte.
Schließlich steckte ich meinen grünen Bleistift weg und klopfte Eduard das warme glatte Kalbfell. Und er stupst mich mit den kleinen Hörnern, damit ich endlich aufstehe. Und dann bummeln wir gemeinsam über die schöne bunte Wiese nach Hause.
Noch am selben Tag wollte er weiter schreiben, aber:
Da merkte ich, daß ich meinen grünen Bleistift verloren hatte. Sicher war er mir auf dem Nachhauseweg aus der Tasche gefallen. Vielleicht hatte ihn auch Eduard, das bildhübsche Kalb, für einen Grashalm gehalten und verschluckt. Jedenfalls saß ich nun in der Gaststube herum und konnte nicht schreiben. Denn es gab im ganzen Hotel, obwohl es ein piekfeines Hotel ist, weit und breit keinen grünen Bleistift, den ich mir hätte borgen können. Toll, was?
Doch die Rettung folgte bereits am Tag darauf:
Ich sitze übrigens, während ich diese beinahe philosophischen Dinge schreibe, wieder auf meiner Holzbank, vor dem Wackeltisch, mitten in der bunten, umfangreichen Wiese. Ich hab mir, gleich am Vormittag, im Kolonialwarengeschäft einen grünen Bleistift besorgt.
Damit war die Welt wieder in Ordnung und er konnte mit dem Schreiben seiner Erzählung beginnen. – Unklar bleibt, um welchen grünen Bleistift es sich gehandelt hat. War es ein Faber-Castell 9000, ein Schwan Othello 282 oder ein Staedtler Luna 349? Aber es wird damals wohl noch mehr grüne Bleistifte gegeben haben.
Danke an Kai für den Hinweis auf Erich Kästners grünen Bleistift!
Anm.: Der Bleistift im Bild ist übrigens der A.W. Faber CASTELL 9000 E SPECIAL.
- Die Zitate entstammen der Ausgabe, die 1966 im Kinderbuchverlag Berlin (DDR) erschienen ist.↩
Ich habe vor vielen Jahren Faber-Castell einmal dazu angeschrieben, leider konnte man mir die Frage nicht beantworten. Wenn die Unterschiede zwischen dem 9000 und 282 damals so groß waren wie heute, dann wohl eher ersterer; Kästner schrieb sehr viel mit Bleistift. Das Kästner-Museum in Dresden könnte vielleicht Auskunft geben, gab’s damals noch nicht.
Danke für den Hinweis auf das Kästner-Museum in Dresden! Ich habe mich dorthin gewandt, und wenn ich etwas erfahren, schreibe ich es hier. – Es wäre interessant zu wissen, wie groß die Unterschiede zwischen diesen beiden Bleistiften damals waren.
Es sind sehr oft die Nichtigkeiten, die unwichtigen Details, die für Menschen Bedeutung gewinnen, und sei das auch nur in der Erinnerung.
Der „Grüne Bleistift“ ist auch so´was. Ein Erich Kästner wäre in meinem Hirnkastel sehr einsam, ohne seinen grünen Bleistift, und ich finde es nicht nur nicht überflüssig, sondern sehr liebenswert, wenn es Leute gibt, die „es genau wissen wollen“. Wo, wann, wer diese grünen Bleistifte erzeugt hatte, welche Minenhärte sie vorwiegend hatten, ob man sie noch kaufen kann……….?
Alles sehr wichtige Dinge.
Liebe Grüsse: Albert
Danke für Ihren Kommentar! Ja, Kleinigkeiten haben oft eine große Bedeutung – so kann z. B. ein rasch dahingesagtes Wort verletzten oder ein vertrauter Gegenstand erfreuen. Allerdings ist eine Kleinigkeit meist nur nach außen hin klein, und so hat der unscheinbare Bleistift u. U. große Bedeutung für einen Schriftsteller. Umso spannender ist dann auch die Erforschung der Details!
Genausogut kann es sein, dass dieser „Grüne Bleistift“, für Erich Kästner gar nicht so bedeutsam gewesen ist, aber er wusste, was man einem Leser, oder einem Zuhörer anbietet. Vermutlich ahnte er, dass er mit solchen Beobachtungen Weltliteratur schreibt, und gut möglich ist es auch, dass ihm sein „Grüner Bleistift“ weniger wichtig gewesen ist, als uns, die wir davon gelesen haben, in einer Zeit, wo ein Bleistift noch ´was gewesen ist.
Wichtig und nichtig……., sosehr wie die Wörter einander ähneln, so wenig klar ist auch, was was ist. Finde ich halt.
Freut mich, dass die Website gelesen und gepflegt wird.
Liebe Grüsse: Albert
So könnte es natürlich auch gewesen sein. Vielleicht hat er ja den grünen Bleistift nur gewählt (und in den Mittelpunkt gestellt), weil er allen vertraut ist – wer weiß …
Ich pflege diese Website gerne, und bei solch interessanten Kommentaren wie den von Ihnen macht es mir erst recht große Freude, dranzubleiben!
Ich hatte das nicht erwartet, es sind prima Texte, die ich noch gar nicht alle gelesen habe. Eigentlich war ich erstaunt, mir ist im Internet schon eine ganze Weile vor dem Kennenlernen dieser Website, nix Besseres untergekommen. Die Beiträge, die ich kenne, auch die Fotos, sind nicht nur zum D´rauflosschreiben, um sie nur irgendwie zu beantworten. Sie sind zum Nachdenken, sie sind es wert. Nicht nur über Bleistifte, natürlich nicht. Also mir ist diese Website äußerst angenehm aufgefallen.
Beste Grüsse: Albert
Danke, das freut mich sehr!
Zufällig bin ich auf folgenden Bleistiftuntersuchungsaspekt gestoßen: Für einen bestimmten Zweck brauchte ich ein Rundholz und habe provisorisch einen Faber Castell 9000 verwendet. Zu dem Zweck gehörte auch ein sehr fest auf dem Stift sitzender Knoten, der anschließend mit einigem Kraftaufwand vom Stift heruntergeschoben wurde. Die weiße Schnur hatte danach grüne Flecken, die Lackierung der FC 9000 Bleistifte ist offensichtlich nicht sehr abriebfest.
Interessehalber mit Staedtler Mars Lumograph 100 wiederholt: Blaue oder schwarze Farbspuren waren danach auf der Schnur nicht festzustellen.
Es gibt also offensichtlich deutliche Unterschiede in der Abriebfestigkeit von Bleistiftlackierungen.
Vorschlag für das lexikalikerisch-physikalische Labor: die Abriebfestigkeit der Lackierung prüfen, zusätzlich zum Anspitzen und Kochen des Bleistifts.
Danke für diese Details! Ja, es gibt wohl deutliche Unterschiede, denn ich habe schon einige Male gehört, dass der Lack des Faber-Castell 9000 nicht so abriebfest ist. Allerdings ist das schon eine Weile her, und so könnte es ich in der Zwischenzeit geändert haben. – Ich werde diesen Aspekt im Auge behalten!