Guten Tag, wertes Publikum, ich heiße Berthelt. Mit einem Vornamen kann ich leider nicht dienen, denn den gab mir mein Erzeuger, der Johann Faber aus Nürnberg, weiland größter Bleistifthersteller des Landes, nicht mit, nachdem er mich vor, na, vielleicht 90 Jahren im Süden Deutschlands in die Welt gesetzt hat. Ich bekam damals einen eleganten Mantel in kräftigem Rot um, der zu meiner großen Freude mit silberfarbenen Applikationen verziert wurde – darunter auch Schlägel und Eisen, was meine Beziehung zum Bergbau zeigt –, und los ging’s.
Aufmerksamen Beobachtern wird es bereits aufgefallen sein: Ziemlich am Ende meines Überziehers prangt – einem Rangabzeichen gleich – „№ 2“, doch Kenner meines Metiers wissen sehr genau, dass die Nummer 2 in unserer Branche eigentlich die Nummer 1 ist. Diesen Sachverhalt den Nicht-Fachleuten unter ihnen zu erklären würde aber den Rahmen meiner kurzen Vorstellung sprengen, und so muss ich leider darauf verzichten.
Auch wenn mein Auftreten auf manche etwas hölzern wirken mag, so kann ich versichern, dass sich in meiner glatten, zweigeteilten Schale ein recht weicher Kern verbirgt und ich mir nicht zu schade bin, mich für meine verantwortungsvolle Tätigkeit aufzureiben. Als man mir damals eine glänzende Karriere ankündigte, hat man nicht zu viel versprochen, denn ich bin tatsächlich universell einsetzbar und mit dem Umgang jedweder Information bestens vertraut, mögen sie aus Zahlen, Buchstaben oder sonstigen Zeichen bestehen, und in der Hand Kunstschaffender vermag ich ebenso zu überzeugen.
Glänzend sind übrigens auch die grauschwarzen Spuren, die mein traditionsreiches Werk auf dem Papier zu hinterlassen vermag und denen weder Sonne noch Wasser etwas anhaben können. Ganz im Kontrast zu meinem auffälligen Äußeren mische ich mich nicht in die Belange derer ein, die meine Dienste nutzen, sondern halte mich – wie es sich für meinen Stand gehört – vornehm zurück. Wer mich und mein Können in Anspruch nimmt, kann sich also ganz auf die die eigenen kostbaren Gedanken konzentrieren.
Ich glaube sagen zu können, dass ich mich für mein Alter hervorragend gehalten habe – ich bin nicht aus dem Leim gegangen, und so sitzt mein schlichter Mantel auch heute noch wie angegossen. Apropos Mantel: Dieses betagte Kleidungsstück ist von erstaunlich hoher Qualität. Selbst nach den vielen, zum Teil turbulenten Jahrzehnten ist sein Stoff weder eingerissen noch abgegriffen, und auch den attraktiven Aufdrucken sieht man die Jahre nicht an, so dass ich bestimmt nach wie vor eine sehr gepflegte Erscheinung abgebe. Gewandungen dieser Güte findet man heutzutage recht selten, aber das nur nebenbei.
Der naheliegende Eindruck, bei meinem anstrengenden Tagewerk würde ich auf Dauer abstumpfen, täuscht sehr, denn falls nötig, bringt mich dieser komische Kauz, in dessen merkwürdigem Potpourri ich mich hier präsentieren darf, wieder schnell in Form. Doch wie es eine Lebensaufgabe so an sich hat, zehrt auch die meine an mir, so dass ich irgendwann fast gänzlich verschwunden sein werde. Aber wer weiß – möglicherweise hat ja einer der geschätzten Anwesenden mitgeschrieben, was ich hier erzählt habe, und bewahrt es damit für die Nachwelt.
Ich danke ihnen für ihre Aufmerksamkeit und empfehle mich.
Wunderbar!
Danke! :-)
Poetisch! Klasse!
Nochmal danke! :-)
Bei meiner Suche nach dem Ursprung des Namens dieses Bleistifts bin ich gestern abend auf Friedrich August Berthelt gestoßen. Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 2 (Leipzig 1905), aus dem diese Quelle zitiert, nennt ihn einen „Volksschulmann“ und erwähnt seine zahlreichen Aktivtäten und Veröffentlichungen, mit denen er sich um das deutsche Schulwesen verdient gemacht hat. Berthelt wurde 1813 geboren, wäre also 1913 100 Jahre alt geworden. Da der Bleistift von Johann Faber aus dieser Zeit stammen könnte, würde es mich nicht wundern, wenn es da einen Zusammenhang gäbe.
Ein interessanter Artikel. Bin auf ihn gestoßen, da ich kürzlich bei eBay ein Zwölfergebinde mit Banderole Berthelt No. 1 erstanden habe und etwas dazu herausfinden wollte.
Über die Firma Johann Faber bin ich durch die Sherlock Holmes Geschichte „Die drei Studenten“ gekommen, bei der ein Johann Faber Bleistift ein wichtiges Indiz in einem Fall darstellte. Dabei dürfte es sich allerdings nicht un einen Berthelt gehandelt haben, auch wenn die Beschreibung des Stiftes von Doyle in der Geschichte nicht besonders ausführlich ist. Dennoch interessant etwas über diese Stifte in einer Geschichte des ausgehenenden 19. Jahrhunderts zu lesen.
Es gibt derzeit übrigens ein weiteres Zwölfergebinde (diesmal Berthelt No. 2) bei ebay. Ich habe meines für gerade mal 3 € erstanden. Vielleicht ist das für einen der Leser dieses Blogs von Interesse.
Warum ist eigentlich die No. 2 die eigentliche No. 1 ?
Gruß
Thomas
Glückwunsch zu diesem Fund! Einen solch alten und schönen Bleistift findet man nicht alle Tage. – Danke für den Hinweis auf die Geschichte und das eBay-Angebot (die Bleistifte könnten sogar noch älter sein als dort angegeben).
Während die No. 2 die Härte kennzeichnet, so steht die No. 1 für den ersten Platz, den der Bleistift dieses Härtegrads auf der Beliebtheitsskala einnimmt, denn HB/2 ist die mit Abstand meistverkaufte Härte (manche Bleistifte gibt es sogar nur in diesem Härtegrad). Allerdings gibt es keinen Standard, und so kann sich z. B. ein HB aus Japan (weicher) sehr von einem aus der Schweiz (z. B. Caran d’Ache, härter) unterscheiden.
Der „Berthelt“ bei Palimpsest: „In honour of Berthelt“