Eines der bekanntesten Warenzeichen aus der Welt der Bleistifte ist die Waage, die viele Jahrzehnte die Produkte von A.W. Faber zierte und auch auf dem Bleistift Castell 9000 anzutreffen war. Doch welche Geschichte hat sie?
Die Waage war ursprünglich das Markenzeichen der Bleistiftfabrik J.W. Guttknecht in Stein bei Nürnberg, die 1907 von A.W. Faber übernommen wurde1.
J.W. Guttknecht
Firmengründer war Johann Andreas Guttknecht aus Frankfurt, der sich in Stein als Schreinermeister niederließ und 1769 erstmals als Bleistiftmacher urkundlich erwähnt wurde. Im Jahr 1828 übernahm sein Sohn Johann Wilhelm Guttknecht die Firma und gab ihr seinen Namen. Er blieb Junggeselle und verkaufte er das Unternehmen 1865 an die Kaufleute Elßmann und Haase, doch diese hatten nicht viel Glück – 1893 war die Firma völlig verschuldet, und Haas beging im selben Jahr Selbstmord. Eigentümer waren anschließend die Bayerische Hypotheken- und Wechselbank und danach die Kaufleute Jakob, Eckert und Betz; letzterer wurde 1899 Alleinbesitzer und verkaufte das Unternehmen 1907 an Alexander Graf von Faber-Castell und dessen Frau Ottilie2.
Unklar bleibt für mich, woher die Jahreszahl 1750 stammt. – Wie die Unterlagen im Deutschen Patent- und Markenamt in München belegen, wurde die Waage im Mai 1875 als Warenzeichen für zahlreiche Produkte4 von J.W. Guttknecht eingetragen.
Doch warum eine Waage? Welchen Bezug zum Handwerk des Bleistiftmachers hat sie? Ich weiß es nicht, habe aber eine Vermutung. Wie Dr. Gustav Schwanhäußer in seiner 1895 als Buch veröffentlichten Dissertation „Die Nürnberger Bleistiftindustrie und ihre Arbeiter in Vergangenheit und Gegenwart“ schreibt, stand bis 1708 noch nicht fest, mit welchen Warenzeichen6 die Bleistiftmacher ihre Fabrikate versahen und versehen mussten. Abhilfe schaffte das Rugsamt, die damalige Handwerksaufsichtsbehörde, mit der Festlegung von zwölf Zeichen im selben Jahr.
Die beiden letzten Zeichen standen noch bis 1730 zur Verfügung der Schreiner, gingen aber im darauffolgenden Jahr in den Besitz der Bleistiftmacher über. Ich halte es für denkbar, dass die damaligen Bleistiftmacher beliebige Zeichen ohne oder mit nur wenig Bezug zum Gewerbe genutzt haben und diese Praxis bis in das 19. Jahrhundert weiter bestand. – Den heute üblichen Markenschutz gab es damals noch nicht. Als die Produkte von A.W. Faber aufgrund ihres großen Erfolges imitiert wurden, reichte Lothar von Faber Anfang der 1870er Jahre eine Petition zum Schutz des Markenartikels beim Deutschen Reichstag ein. Diese führte dazu, dass 1875 ein Gesetz zum Markenschutz in Kraft trat7; aus diesem entstand unserer heutiger Markenschutz.
Wie die Registerauskunft des DPMA informiert, ließ sich A.W. Faber die Waage im April 1914 als Bildmarke eintragen.
Wann genau und auf welchem Produkt A.W. Faber sie zum ersten Mal genutzt hat, konnte ich allerdings noch nicht herausfinden.
Ich finde es bemerkenswert, wie viele Varianten der Waage es über die Jahrzehnte gab. Waren die Änderungen beabsichtigt? Wenn ja, lassen sich mit ihrer Hilfe Produkte datieren? Oder ging man damals einfach lockerer damit um und achtete nicht immer auf eine einheitliche Gestaltung?
Sicher machte auch die verwendete Drucktechnik Abwandlungen nötig, denn es lassen sich z. B. auf Briefpapier feine Details besser wiedergeben als im Prägedruck. – Hier noch ein paar Varianten der Waage aus meinem Fundus.
Die Gestaltung der Schalen und den abgesetzten Punkt auf dem Karton des blauen Farbstifts 2671 finde ich sehr ungewöhnlich.
Wie der folgende Ausschnitt zeigt, waren zuweilen verschiedene Varianten nebeneinander zu sehen.
Weitere bekannte Marken von A.W. Faber-Castell waren die Wortmarke „Castell“ (1906, der spätere Namensteil), die Kombination mit stilisierter Burg (1906) und das querliegende Oval mit dem Wappen (1950). Die beiden mit Bleistiften kämpfenden Ritter wurden 1906 als Schutzmarke eingeführt9.
Bei der Neuausrichtung des Unternehmens im Jahr 1993 trennte sich Faber-Castell von der Waage, die 118 Jahre lang nicht nur auf Bleistiften zu sehen war. Sie ist jedoch immer noch auf die Faber-Castell AG eingetragen.
Danke an Faber-Castell für den Scan des Guttknecht-Katalogtitels und das DPMA für den Scan des Warenzeicheneintrags aus dem Jahr 1875!
Nachtrag vom 2.7.15:
Die freischwebenden Waagschalen haben etwas, finde ich.
- Bis in die 1940er Jahre vertrieb A.W. Faber-Castell die billigen Bleistiftsorten unter dem Namen J.W. Guttknecht.↩
- Quelle: Gerhard Hirschmann, Stein bei Nürnberg – Geschichte eines Industrieortes. Frankenverlag Lorenz Spindler, Nürnberg 1962.↩
- Jahresangabe von Faber-Castell.↩↩↩↩
- Die Bedeutung des Begriffs „Farbkrene“ in diesem Eintrag kenne ich nicht.↩
- Herausgegeben im Auftrag des Reichsamts des Innern. Aufgeführt werden Warenzeichen bis Ende 1886. – Ja, „Waarenzeichen“.↩
- Im historischen Kontext auch „Schauzeichen“ genannt.↩
- Man beachte den Begriff „Schutz-Marke“ unter der im selben Jahr eingetragenen Waage von Guttknecht.↩
- Das Alter kenne ich nicht.↩↩↩
- Quelle: „Faber-Castell since 1761“.↩
Die Waage! Ich habe mich bei den älteren Bleistiften schon mal gefragt wofür diese steht. Ich habe vermutet, dass die Waage für Balance bzw. Gleichgewicht der Faber-Castell Produkte stehen würde. Danke Gunther für diesen Beitrag.
Danke! Es freut mich, dass Dir der Beitrag gefällt. Wie gesagt – ich denke nicht, dass die Waage in einem konkreten Bezug zum Handwerk des Bleistiftmachers steht. – Interessanterweise gab es auch mal eine Wort-Bildmarke mit dem Namen „Balance“:
Gut möglich, dass sie für fremde Märkte gedacht war; 2002 wurde sie gelöscht.
Outstanding!
Great post, Gunther.
I think that the knight must be a much older element. My old Castell 9000s (post-WWII) are in metal boxes with the same knights.
Oh I see! So the symbols didn’t necessarily have to have a meaning. I wonder if the lyre symbol for Lyra falls under the same category too (e.g. unrelated to pencils)? The date 1993 is also useful in dating the pencils, thank you :)
BTW I wonder if you call the type in the patent information document „Schwabacher“ as we are taught to, or if you have a more common name for it in Germany…
Sean: Thank you! – There is so much to discover and to explore …
Michael Leddy: Thank you, also for pointing me to the early appearance of the knights. I wasn’t sure about their age so with these items it becomes a little clearer.
Sola: Yes, I would say now that the older symbols were quite arbitrary. However, the lyre symbol must have been an exception. Although it wasn’s related to pencils it was – if I remember correctly – related to some choirs which existed in the time when Lyra was founded, and these choirs were related to the company. I forgot where I have read about that but I will try to find these details in my books. – I’m not sure about the font. Although some elements look like Schwabacher, other remind me of Rotunda. I will try to find out more.
Faber-Castell hat mir mitgeteilt, dass die Blechetuis mit dem Rittermotiv bereits in den 1950er Jahren hergestellt wurden. Bis 1961 gab es zwar einige Varianten des Castell-Schriftzugs, doch die Turnierreiter blieben unverändert. Im „CASTELL-Brief“ vom 6. Oktober 1950 wurde die neugestaltete Markenverpackung vorgestellt:
Ich habe den Eindruck, als hätte man die Ritter irgendwann horizontal gespiegelt, denn während bei den alten Rittern der rechte zusticht, ist es bei den neuen der rechte. – Danke an Faber-Castell für den Scan und die Details!
Falls das ein Blechetui ist, das von mir eingesandt wurde, dann ist es aber ziemlich sicher tatsächlich in den 1980er Jahren gekauft worden (beim Großhändler).
Das ist zwar ein anderes Etui, aber ebenfalls neuer. Mein Kommentar zum Etui war missverständlich – er bezieht sich natürlich nicht auf das gezeigte, sondern generell auf das Blechetui in diesem Design; ich habe den Text korrigiert.
Zu den im Warenzeicheneintrag von 1875 verwendeten Schriften gibt es ein paar sehr hilfreiche Details im Typografie.info-Forum.
Es gab auch eine Reklamemarke von J.W. Guttknecht:
Danke an Sean für den Scan!
Könnte es sein das die Waage als Symbol für die richtige Mischung von Graphit und Ton steht – die Mischung, die den Härtegrad der Bleistiftminen bestimmt?
Das klingt plausibel und ist natürlich nicht auszuschließen, auch weil die Waage auch in diesem Handwerk ein unverzichtbares Werkzeug war, doch für wahrscheinlicher halte ich die oben angesprochene willkürliche Zuweisung oder eine ebensolche Wahl.