Manche merkwürdigen Dinge verbergen sich ausgerechnet dort, wo man sie am wenigsten vermutet. So hat mir das praktische, im Betriebssystem „Windows“ für den komfortablen Zugriff auf die über die Tastatur nicht ohne weiteres erreichbaren Symbole integrierte und „Zeichentabelle“ benannte Hilfsmittel kürzlich ein „Dauerleerzeichen“ präsentiert und mich mit diesem äußerst nachdenklich gestimmt.
Als ein an Typografie sehr Interessierter bin ich mit dem klassischen Leerzeichen recht gut vertraut und schätze seine Vorzüge, trägt es doch – besonders wenn in ausreichender Zahl und fachkundig verteilt – nicht unerheblich zur Lesbarkeit des umgebenden Textes bei. Auch sind mir die Gefahren dieses besonderen Zeichens, das ja strenggenommen keines ist, sondern elegant die Abwesenheit eines solchen verkörpert, durchaus bewusst. So sorgt sein Umfeld gelegentlich dafür, dass es sich in der Breite an dieses anpasst, um seinen Teil zum harmonischen Ganzen beizutragen, und manchmal drängeln sich sogar zwei an dem für ein einzelnes vorgesehenen Platz, was nur durch sehr sorgfältige Kontrolle, per Zufall oder gar nicht (!) entdeckt wird.
Habe ich bei den meisten der in der Zeichentabelle vorrätigen Charaktere überhaupt keine Berührungsängste und würde sie daher bedenkenlos in mein Werk übernehmen (falls es zielführend wäre), so hatte ich nicht den Mut, bei dem mir völlig fremden Dauerleerzeichen beherzt zuzugreifen.
Nimmt es etwa die ihm einmal zugewiesene Position auf Dauer ein und zerteilt später ein an dieselbe Stelle rückendes Wort unaufgefordert, skrupellos und sinnentstellend? Wenn ja, wie bekomme ich es wieder weg? Verbreitet es womöglich dauerhafte Leere? Bei den Texten, für die ich verantwortlich zeichne, könnte ich mir dies nun wirklich nicht erlauben, erst recht dann nicht, wenn dieser kritische Vorgang schleichend und zunächst unbemerkt stattfände. Oder verweilt es nur für eine ganz bestimmte Dauer am Ort, um anschließend, noch nicht mal eine Leerstelle hinterlassend, spurlos zu verschwinden? Dies würde das beträchtliche Risiko bergen, dass zwei bis dahin getrennte Worte plötzlich verschmelzen und mir das Dauerleerzeichen ein unerwünschtes Kompositum hinterlässt, was mir selbst bei frei wählbarer Dauer des Verbleibs nicht genehm wäre (allerdings konnte ich bis jetzt nichts einer Zeitsteuerung ähnliches finden). Und: Käme es irgendwann wieder zurück?
Ab und zu probiere ich ja schon gerne etwas Neues, und es hat mir im Finger über der linken Maustaste gejuckt, das Dauerleerzeichen auszuwählen, es unverzagt in meine Arbeit einzubauen und seine Eignung für diese gründlich zu prüfen. In diesem Fall aber habe ich das Wagnis einfach nicht kalkulieren können, so dass ich – wenn auch schweren Herzens – weiterhin mit dem Standard-Leerzeichen vorlieb nehmen und damit wohl vorerst auf die Enträtselung des Dauerleerzeichens verzichten muss.
Ein Blick in die Unicode-Tabelle offenbart die Bedeutung des Sonderzeichens: „NO-BREAK SPACE“ ist dort vermerkt.
Prügelstrafe für die Übersetzungsabteilung Microsofts!
Ich beginne, den offenbar doch recht kniffligen Sachverhalt zumindest ansatzweise zu begreifen. Dann bietet dieses pausenlose bzw. Dauerleerzeichen also quasi eine Funktionsgarantie und kann dank dieser auch eine der Aufgaben erfüllen, die zu früheren Zeiten dem Rubrikator oblagen? Faszinierend.
Ach so – ein pausenloses Leerzeichen ist das! Auch wenn dies natürlich weitere Fragen aufwirft, so haben doch die Übersetzer, die ich hier sehr gerne und nicht nur ob ihrer Kreativität in Schutz nehme, nicht allzu weit daneben gelegen.
Das »Dauerleerzeichen« ist mein Freund und mir insbesondere dann von Nutzen, wenn ich in einem F.A.Z.-Blog-Beitrag kommentiere: Nur das Dauerleerzeichen schafft dort dauernde Leere zwischen Absätzen! Andere Kommentatoren und Kommentateusen müssen sich mit unschönen Pünktchen behelfen, wenn nicht gnadenlos zusammengeschoben werden soll, was nicht zusammengehört…
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Ein wenig „off topic“, aber nichtsdestotrotz erwähnenswert ist in diesem Kontext die esoterische Programmiersprache „Whitespace“, deren „Befehle und Steueranweisungen […] im Gegensatz zu üblichen Programmiersprachen aus definierten Folgen von Leerzeichen, Tabs und Zeilenumbrüchen“ bestehen.
(vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Whitespace_%28Programmiersprache%29)
Mit Verwendung des Dauerleerzeichens hätten die Entwickler dieses Höhepunkts der Programmierwelt ein weiteres Zeichen zur Verfügung gehabt.
http://de.wikipedia.org/wiki/Gesch%C3%BCtztes_Leerzeichen
Lehrer oder Streber? Egal: Ab zum Doktor und den Humor-Detektor kalibrieren lassen! ;-)
Danke für den Hinweis auf die mir bisher gänzlich unbekannte Programmiersprache „Whitespace“ – ich vermag lediglich zu ahnen, wie sehr diese vom Dauerleerzeichen hätte profitieren können.
Geschützt ist dieses wundersame Stück auch noch? Na ja, wenn mir die grandiose Idee für ein solches Multifunktionstalent gekommen wäre, hätte ich es wohl auch schützen lassen. Nebenbei: Dies verschafft dem Begriff „Schutzdauer“ wohl eine ganz neue Dimension.
Ich stell mir grad vor, wie die grafische Darstellung dieser geschützten Marke im Register des Deutschen Patent- und Markenamtes aussähe. Vermutlich so: ‚ ©‘
Wenn man das geschützte Zeichen jedoch stets mit Copyright-Vermerk versehen müsste, so wäre es seiner Kernfunktion beraubt und der Benutzer ziemlich in der Klemme. Vertrackt!
Sehr lehrreich und überaus stilvoll, Herr Lexikaliker.
Da fällt mir ein, es soll ja auch durchaus Zeitgenossen geben, deren Gehalt, sei er nun charakterlicher, intellektueller, humormäßiger oder emotionaler Natur, mit diesem Zeichen treffend beschrieben wäre. Und das meine ich nicht finanziell.
Danke für das Kompliment, Frau Etosha!
Den genannten Zeitgenossen kann man nur wünschen, dass ihre Substanz eher dem einfachen denn dem Dauerleerzeichen ähnelt, hat ersteres doch den großen Vorteil, bei einem Umbruch in der Biografie zu verschwinden und Platz für Inhalte zu machen.
Na na, zonebattler. Alles Lustige war ja nun schon gesagt, aber der Beitrag samt den amüsanten Kommentaren hatte eines noch nicht: die wirkliche Erklärung. Schadet nichts, und vielleicht hilfts mal jemandem.
Mir hat’s gerade geholfen, denn von einer HTML-Codierung des schmalen umbruchgeschützten Leerzeichens hatte ich bisher noch nicht gehört (vermutlich hat es sich mit seiner Schmalheit meiner Aufmerksamkeit wirksam entzogen).
Dies hier ist zwar alles schon etwas länger her aber ich will trotzdem noch einen Kommentar loswerden weil dieser NO-BREAK SPACE mir bei einem Problem geholfen hat. Zunächst einmal: das Zeichen ist grundsätzlich nicht schmaler oder breiter als irgendein anderes Zeichen. Wie breit ein Zeichen im Vergleich zu den anderen ist hängt davon ab, ob es sich um einen proportionalen Font handelt oder um eine Festschrittschrift.
Ich musste eine Anwendung programmieren wo pro Zeile 39 Zeichen einzugeben waren (wegen der Ausgabe auf einem speziellen Drucker) und das musste eben eine Festschrittschrift sein und die Zeilen sollten immer vollständig gefüllt sein. Genau dies funktioniert aber nicht mit den üblichen Eingabeelementen (hier: ein TMemo in Delphi) weil nämlich diese Elemente immer beim letzten Leerzeichen in der Zeile umbrechen. So kann man die Zeile, wenn man die Worte mit Leerzeichen, trennt niemals bis zum Ende vollschreiben. Mit dem NO-BREAK SPACE funktioniert das. Und das ist der ganze Witz an dem Zeichen.
Danke für Deinen Kommentar und die Details zu dem besonderen Verwendungszweck des Zeichens. Ja, es ist wirklich nützlich (und unter Windows übrigens auch über Alt+0160 erreichbar).
Nach über einem Jahr eine kleine Korrektur :
per Alt + 0160 oder Alt + 255.
Alt + 160 = á ;)
Danke für dieses Detail! Ich habe meinen Kommentar korrigiert.
Wie sangen schon Lucylectric in den 90gern: Wenn ich etwas nicht verstehe, wird es einfach weggelacht…
Noch mehr zum Weglachen finde ich, wenn man meine gespielte Unkenntnis nicht als solche erkennt :-)