Der zufällige Fund einer mehr als 60 Jahre alten Patentschrift über die Verringerung der Lichtdurchlässigkeit von Bleistiftminen zur Verbesserung ihrer Lichtpausfähigkeit hat mich neugierig gemacht und zu einer weiteren Suche motiviert.
Bereits während der Lektüre dieses Dokuments kam mir der Werbetext zum Bleistift LYRA Orlow 6300, zitiert in der Jubiläumsschrift „Meilensteine. 150 Jahre Lyra-Orlow“, und der darin enthaltene Verweis auf das DRP (Deutsches Reichspatent) 746988 in den Sinn; zudem habe ich mich an einige Exemplare des orlow-techno 6300 HB mit dem Aufdruck „ELIOGRAPH“ in einer meiner Schubladen erinnert.
Das Deutsche Patent- und Markenamt in München bietet zahlreiche Möglichkeiten der kostenfreien Online-Recherche. Eine Abfrage des DEPATISnet nach dem von LYRA genannten Patent 746988 liefert Details zu einem „Verfahren zur Herstellung von gebrannten Schreibkörpern, z. B. Bleistiftminen, Griffeln oder Kreiden“ zum Zweck, „die Farbkraft und Lichtabsorption dieser Schreibminen zu verbessern“, erdacht von Dr. Raimund Berger aus Nürnberg.
Dieser Text bezieht sich auf vorhandene Kenntnisse über die Imprägnierung der Minen mit Farbkörpern sowie mit Stoffen, die ultraviolettes Licht absorbieren, damit jedoch nur die Ergebnisse bestimmter Kopierverfahren verbessern helfen. Man ging davon aus, dass die optisch wirksamen Zusatzstoffe hauptsächlich auf den Oberflächen der inneren Poren und Kapillaren der Mine verteilt sein müssen, um den Glanz des Abstrichs zu verringern und dessen Lichtabsorption zu erhören, und strebte ein Verfahren an, bei dem sich die mittels einer Imprägnierung zugeführten Substanzen durch eine Wärmebehandlung in chemisch andere Stoffe umwandeln. Diese Umsetzungsprodukte sollten sich in äußerst feiner Form in den Hohlräumen gleichmäßig ablagern und so eine optimale optische Wirkung erzielen; zum Einsatz kamen dabei organische Stoffe wie z. B. Kohlenhydrate, die beim Erhitzen unter Sauerstoffabschluss im Mineninneren amorphen Graphit bildeten. Die bloße Beigabe von letzterem zur Minenmasse (etwa in Form von Ruß) macht schon bei wenigen Prozenten die Mine rauher und mindert ihre Gleitfähigkeit, doch das genannte Verfahren bot den Vorteil, die Glätte des kristallinen Graphits und mit dieser die Schreibqualität des Bleistifts zu erhalten, den Abstrich schwärzer sowie matter zu machen und damit Schärfe und Kontrast von Lichtpausen zu steigern.
Unter den fünf entgegengehaltenen Dokumenten findet sich auch das Patent 627646 von J.S. STAEDTLER aus dem Jahr 19301, das die Beigabe von lichtdichten Sudan-Farbstoffen zur Imprägniermasse beschreibt. Demnach sollen bereits eine kleine Menge Sudangelb oder Sudanviolett ermöglichen, „die Lichtdichte der Mine so zu steigern, daß sie Minenabstriche von hoher Schwarzwirkung liefert“. Wenige Jahre zuvor ging die Kalle & Co. AG aus Biebrich am Rhein mit dem Patent 517159 („Verfahren zur Darstellung von Tuschen, Zeichenstiftmassen und dgl. für Lichtpauszwecke“) den Übelstand2 der lichtdurchlässigen Linien von Tusche- und Stiftzeichnungen durch den Zusatz von im Ultraviolett stark absorbierender Substanzen an.
Konzeptionell ganz anders ist das US-amerikanische Patent 1504209 („Pencil and process of making the same“) aus dem Jahr 1924, in dem der Erfinder den Ton mit Holzstaub und anderen kohlenstoffhaltigen Materialien mischte. Diese Stoffe sollten beim Brennen der Mine zu Kohle werden und so die Schwärzung des Abstrichs erhöhen; die dabei entstehenden und die Mine brüchig machenden Hohlräume wollte er mit Stearinsäure füllen.
Ob die für den Orlow 6300 beworbenen Eigenschaften auch für den LYRA orlow-techno 6300 gelten, kann ich nicht sagen; ein schneller Vergleichstest mit aktuellen Bleistiften von STAEDTLER, Tombow, Pentel und STABILO zeigte zwar die hohe Qualität und die gute Schwärzung dieses Bleistifts, nicht aber eine erkennbar geringere Reflexion im für das bloße Auge sichtbaren Spektrum (mit Abstand am mattesten war der Abstrich des STABILO Micro 288). – Die Wortmarke „ELIOGRAPH“ auf dem LYRA orlow-techno 6300 wurde 1963 eingetragen und 2003 gelöscht. Ihren Ursprung kenne ich nicht; vielleicht war es eine an „Heliografie“ oder die italienische Übersetzung für „Lichtpause“, „eliografica“, angelehnte Wortschöpfung.
- Es wurde jedoch erst 1936 veröffentlicht.↩
- Dieses schöne, mir bisher unbekannte Wort musste ich unbedingt aus der Patentschrift übernehmen.↩
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Wunderschöne Exemplare, Orange ist ja mit Ausnahme der Rhodia-Bleistifte heute eher selten anzutreffen. Wie alt sind die Lyra denn ungefähr? Es ist kein Barcode zu sehen.
Leider weiß ich nicht, wie alt diese Bleistifte sind. Meine Exemplare haben keinen Strichcode und kamen in einer Faltschachtel mit der alten Nürnberger Postleitzahl, sind daher wohl spätestens Mitte 1993 auf den Markt gekommen; erstanden habe ich sie vor gut zwei Jahren in einer Art Gemischtwarenladen in Leipzig. – Ich habe mal bei LYRA angefragt.
Bei dieser Gelegenheit: Danke für Ihren Hinweis auf das Buch „Das Versprechen mobiler Freiheit“ von Heike Weber – ich lese es gerade mit großem Interesse!
LYRA hat mir mitgeteilt, dass es den Orlow (später orlow-techno) 6300 von Mitte der 1950er bis Mitte der 1990er Jahre gab. Mitte der 1980er wurde das Design geändert; bei den Stiften im Foto handelt es sich um die neuere Version.
Danke, dann habe ich seit gestern einige der letzten ihrer Art. Zwar sind die Bleistifte ebenfalls ohne Strichkode, aber die Postleitzahl auf der Faltschachtel ist bereits fünfstellig, und es war 1993 als der Rolf, einer der unzähligen Höhepunkte deutschen Werbeschaffens, unnachahmlich verkündete: „Fünf ist Trümpf!“
An den gelben Rolf erinnere ich mich nur zu gut – in der Tat eine tolle Marketing-Nummer … – Dann sieht es wohl so aus, als hätte man für die letzte Phase des 6300 nochmal neue Schachteln gedruckt.
Der absolute Klassiker unter den Bleistiften.
Ich kann mich noch sehr gut an mein erstes Exemplar erinnern.
Damit habe ich meine Liebe zum Zeichnen quasi nebenbei entdeckt :-)
Klassiker? Vermutlich eher ein heimlicher ;-) Aber wie auch immer: Wenn Sie durch ihn zum Zeichnen gekommen sind, dann hat er eine Sonderstellung verdient!
I know it’s a bit late to comment, but do you know if these pencils are still for sale somewhere? I have a few of them, and really like the F and HB especially, but they seem nowhere to be found nowadays.
As far as I know these pencils were discontinued many years ago (I got old stock back then) and don’t know a retailer who has some left.