Schauspiel in einem Akt
Personen: Verkäufer (männlich, Anfang 30), Kunde (männlich, Ende 40)
Ort: Ein kleines Schreibwarengeschäft in Südhessen, später Nachmittag eines Werktages
Der Verkäufer steht hinter dem Tresen. Die Tür öffnet sich, der Gong ertönt, ein Kunde tritt ein.
Kunde: (munter) Guten Tag!
Verkäufer: Guten Tag! Sie wünschen?
K: Ich suche einen hochwertigen Bleistift ohne Schnickschnack.
V: (zeigt dem Kunden einen dunkelgrünen Bleistift mit goldfarbenem Aufdruck) Da empfehle ich ihnen den Klassiker von – –
K: (dreht den Bleistift zwischen den Fingern) Ach du meine Güte! Was steht denn da alles drauf? Ich will nicht lesen, sondern schreiben.
V: (legt einen Lumograph HB auf den Tresen) Gern genommen wird auch der blaue mit der schwarzen – –
K: (schaut nur kurz) Schon besser, aber gibt es denn nichts ganz schlichtes, vielleicht sogar unlackiert?
V: Doch, den 123 60 von Staedtler, aber nur in HB und ohne Radiertip.
K: Kann ich ein paar Fotos machen?
V: Bitte.
K: (holt die Kamera aus seiner Umhängetasche und fotografiert)
K: Prima! Mehr will ich auch nicht.
V: (reicht dem Kunden Papier und einen 123 60) Möchten sie mal testen?
K: Gern! (testet) Ich habe den Eindruck, als wäre der etwas rauher als der Noris in HB. Oder täusche ich mich da? (fotografiert schon wieder)
V: Nein, sie täuschen sich nicht. Der Graphit in diesem Bleistift hat nicht ganz die Qualität von dem im Noris, und außerdem ist die Mine nicht imprägniert. – Dieser Bleistift ist übrigens der ökologisch nachhaltigste im Sortiment von Staedtler. Wussten sie das schon?
K: (deutet zum Aufsteller mit dem Faber-Castell 1117 auf dem Tresen) Nein, aber ist der denn nicht auch umweltfreundlich?
V: Doch, aber der hat eine Lasierung – der von Staedtler ist unbehandelt. Sie sind doch umweltbewusst, oder?
K: (nickt)
V: Sehen sie, dann kommen sie am Staedtler 123 60 gar nicht vorbei.
K: Das klingt gut. Woher sind denn die Minenbestandteile?
V: Da muss ich passen, doch ich bezweifle, dass sie aus Deutschland kommen. In Kropfmühl, dem letzten Graphit-Bergwerk im Land, fördert man seit 2005 nur noch sehr eingeschränkt. Es ist billiger, den Graphit zum Beispiel in Sri Lanka oder Mosambik abzubauen und hier zu veredeln. Auch der Ton ist im Ausland billiger – der aus China kostet nur ein Zehntel von dem aus der Grube in Klingenberg, die man vor einem halben Jahr zugemacht hat. Aber der Stift wird hier hergestellt.
K: (fotografiert ein drittes Mal und packt die Kamera umständlich ein)
K: Steht ja auch drauf. Und das Holz?
V: Das ist Kolorado-Tanne und spitzt sich leicht und sauber. Normalerweise machen wir das nicht, aber wollen sie mal testen? (reicht dem Kunden einen Kunststoff-Spitzer)
K: (kramt umständlich etwas messingfarbenes aus der Münztasche seiner Jeans hervor) Danke, aber ich nehme lieber meinen.
V: (schaut verwundert) Was ist das denn für einer?
K: (wird noch munterer) Das ist der Janus 4048 von Faber-Castell, so um die fünfzig Jahre alt. Der ist ziemlich pingelig, gerade bei Stiften mit schlechter Verleimung und brüchigen Minen.
V: (zeigt Ermüdungserscheinungen) Beides müssen sie bei Staedtler nicht befürchten.
K: (packt die Kamera wieder aus, fotografiert nochmal und hängt sie sich um den Hals)
K: Prima. (spitzt und inspiziert den Stift) Sehr gut. – Schön, der sparsame Aufdruck. Gibt’s den Stift auch ohne Strichcode?
V: Leider nein. (Kunde reibt mit dem Zeigefinger über das Geschriebene) Was machen sie denn da?
K: Ich prüfe die Wischfestigkeit.
V: (freut sich auf den Feierabend) Ah. Und, sind sie zufrieden?
K: Ja, sehr, auch mit der sauberen Abgabe. Ich habe mich nämlich schon im Internet informiert. Wissen sie, da gibt es ein paar Seiten, die sich ziemlich gründlich – –
V: Das macht es uns nicht immer leicht.
K: Wieviel kostet dieser Bleistift denn?
V: 45 Cent das Stück.
K: Günstig ist er auch noch! Ich nehme die ganze Schachtel.
V: (erleichtert) Das macht 5 Euro 40.
K: Ich hab’s passend! (zahlt und packt ein) Wiedersehen!
V: (noch mehr erleichtert) Auf Wiedersehen! (würde gerne „aber es eilt nicht“ nachschieben, verkneift es sich jedoch mühsam)
Der Kunde geht zur Tür, öffnet sie und verlässt das Geschäft.
Ich habe das Skript mit meinen Freund geredet. Er zeufzte: ‚What a horrible customer!‘ ‚Aber du hast etwas gelernt.‘
Super! Du hast noch versteckte Talente enthüllt. Es erinnert mich an den Dialogen von: „Deutsche Umgangssprache für Ausländer“, meine Lieblings-Lehrbuch. (Von 1936 – Hopla! Das erklärt sicher etwas über meine deutsche :-) ).
Diese Situation ist aber ein Bisschen unwahrscheinlich. Noch im Falle von Federhaltern für viele hundert Euro ist das Personal nicht bereit Service zu erbringen. Jedenfalls in Dänemark nicht…
Claire: Der Kunde ist wirklich eine kleine Nervensäge, und ich wünsche jedem Verkäufer, möglichst wenig von dieser Sorte zu haben ;-) Allerdings macht der Verkäufer zumindest am Anfang noch alles mit, ja spornt ihn sogar noch an.
Henrik: Danke :-) Natürlich ist diese Situation bis auf wenige Details unrealistisch – eine solch ausführliche Beratung gäbe es auch in Deutschland allein schon aus Zeitgründen nicht. Doch auch wenn das Geschehen frei erfunden ist, so sind es die technischen Details nicht.
Da ich ein Foto des Strichcodes auf diesem Bleistift vergessen habe, sei es hier nachgereicht (zum Vergrößern anklicken):
Am Rande: Sowohl der Text „MADE IN GERMANY“ als auch die Typenbezeichnung sind in Helvetica. Wenn ich richtig informiert bin, hat man vor etwa zehn Jahren auf die Frutiger umgestellt und dabei auch auf die hier noch zu sehende Raute in der Härtegradkennzeichnung verzichtet (der Noris 120 trug sie ebenfalls). Ich weiß nicht, ob ich ungewöhnlich alte Exemplare des 123 60 bekommen habe oder ob man das Design dieses Bleistifts (noch?) nicht nachgezogen hat; auf der Schachtel und auf der Website sieht man ein aktuelleres Design.
“ eine solch ausführliche Beratung gäbe es auch in Deutschland allein schon aus Zeitgründen nicht. “
geh in diesen laden am dernschen in WI !!!
mir wurde da der verkäufer zu ausführlich ^^
aber es ging um füllfederhalter.
keine ahnung wie fit er mit bleistiften ist.
teste ihn!
Werde ich machen – ist notiert!
I regularly come back to reread that Schauspiel in einem Akt, and it is always as hilarious as the first time!
Matt, I’m happy to hear that!