Juli 2010

Die Reißzwecke

Jeder kennt sie, die Reiß­zwe­cke, auch bekannt als Heft­zwe­cke, Reiß­na­gel, Reiß­brett­stift, Pinne und Wanze, doch wer weiß schon von ihrer Geschichte und den vie­len Varianten?

Alois Nedol­uha zufolge, dem Autor der „Kul­tur­ge­schichte des tech­ni­schen Zeich­nens“, gebührt W. Motz der Ver­dienst, die erste Reiß­zwe­cke in die Welt gebracht zu haben. Der Ber­li­ner, so Nedol­uha, habe 1880 einen Stift erson­nen, der aus einem aus­ge­stanz­ten und um 90° abge­win­kel­ten Teil des run­den Kop­fes bestand, und damit die Urform des spit­zen Hel­fers geschaf­fen. (Eine wei­tere Quelle für diese Infor­ma­tion konnte ich bis jetzt lei­der nicht aus­fin­dig machen, eben­so­we­nig den Vor­na­men des Herrn Motz oder einen Hin­weis auf eine kom­mer­zi­elle Nut­zung sei­ner Erfindung.)

Die Reißzwecke

Bild 1 Reiß­nä­gel in ursprüng­li­cher Aus­füh­rung (Maped)

Auch nach 130 Jah­ren kann man die klas­si­sche Form noch bekom­men; gekenn­zeich­net mit „FIXO“ ist sie u. a. bei Maped im Pro­gramm. Der Nach­teil des gestanz­ten Stifts besteht jedoch darin, dass er ver­gleichs­weise dick und somit nur für wei­che Unter­gründe geeig­net ist.

1888 begann Hein­rich Sachs in Öster­reich mit der manu­el­len Her­stel­lung von Reiß­nä­geln. Zwei Jahre spä­ter stellte er auf die maschi­nelle Fabri­ka­tion um und war wohl der erste, der Reiß­nä­gel kom­plett in einem Arbeits­gang pro­du­zie­ren konnte; dadurch wur­den sie bil­li­ger und ver­brei­te­ten sich schnell. – Sachs‘ Unter­neh­men mit dem heu­ti­gen Namen SAX bean­sprucht die Erfin­dung des Reiß­na­gels. Das Detail „aus nur einem Stück Band­stahl“ in der Fir­men­chro­nik lässt dar­auf schlie­ßen, dass es sich um die alte Form han­delte. Nedol­uha schreibt, Hein­rich Sachs habe 1925 gehär­tete und polierte Reiß­nä­gel eingeführt.

Die Reißzwecke

Bild 2 Aktu­elle genie­tete Einfachst-​Reißzwecken (unbe­kann­tes Fabrikat)

Die ers­ten genie­te­ten und auch heute noch am häu­figs­ten anzu­tref­fen­den Reiß­zwe­cken kamen laut Alois Nedol­uha um 1890 in Deutsch­land auf; aktu­elle Quel­len indes schrei­ben diese Erfin­dung dem Uhr­ma­cher­meis­ter Johann Kirs­ten aus Lychen in der Ucker­mark zu. Reich davon wurde aller­dings ein ande­rer: Der Kauf­mann Otto Lind­stedt erwarb Kirs­tens Idee, ließ sich die Heft­zwe­cke 1904 paten­tie­ren und wurde zum Mil­lio­när. – Am Orts­rand von Lychen erin­nert eine Stele aus Stahl mit einer Riesen-​Reißzwecke an den Erfinder.

Die Reißzwecke

Bild 3 Heftzwecken-​Lieferprogramm der Gebr. Wich­mann (Aus­schnitt, 1940). – Man beachte die große Aus­wahl und die köst­li­che For­mu­lie­rung „Heft­zwe­cken für Zeichenzwecke“.

Es folg­ten wei­tere Ver­än­de­run­gen und Ver­bes­se­run­gen wie Über­züge des Kop­fes aus Metall und Kunst­stoff sowie eine durch­stoß­feste Aus­füh­rung, die eine Ver­let­zung des drü­cken­den Dau­mens ausschließt.

Die Reißzwecke

Bild 4 Aktu­elle Reiß­nä­gel. Von links: unbe­kann­tes Fabri­kat mit Kunst­stoff­über­zug, Soenne­cken (Deutsch­land), SHF (Schwe­den).

Seit etwa 1930 bekannt ist der soge­nannte Zei­chen­ma­schi­nen­stift, der über zwei Löcher im Kopf ver­fügt. In diese greift ein Schlüs­sel, der das Ent­fer­nen des Stifts aus dem Zei­chen­tisch erleichtert.

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Bild 5 Spezial-​Reißzwecke für Zei­chen­ma­schi­nen von Kuhl­mann (Kata­log Gebr. Wich­mann, 1940)

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Bild 6 Reiß­nä­gel mit zwei Löchern und Löser (ALCO)

Im Jahr 1949 wurde der Reiß­na­gel mit drei Spit­zen paten­tiert. Die­ser bie­tet den Vor­teil, dass bereits ein ein­zel­ner das Blatt gegen Ver­dre­hen sichert.

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Bild 7 Reiß­zwe­cken mit drei Spit­zen. Links: Maped, rechts: Delta (mit Löser, Österreich).

Eine andere Vari­ante ist der Archi­tek­ten­na­gel mit dicke­rem Kopf aus Metall oder Kunst­stoff und fei­ner, spit­zer Nadel, die beson­ders gut in fes­tem Mate­rial hält und nur geringe Spu­ren hin­ter­lässt. Inter­es­sant beim roten Stift: Der Absatz schafft eine Nut zwi­schen Unter­grund und Kopf.

Die Reißzwecke

Bild 8 Archi­tek­ten­stifte. Links: mit Kunst­stoff­kopf (Brause), rechts: mit Mes­sing­kopf­platte und geschlif­fe­ner Stahl­spitze (Hch. Hummel).

Über die Ver­wen­dung der Nut des roten Archi­tek­ten­stifts kann ich nur mut­ma­ßen, doch bei der Heft­zwe­cke für Pla­nungs­ar­bei­ten infor­mierte der Anbie­ter sehr detail­liert über die Nut­zung des Wulstes.

Die Reißzwecke

Bild 9 Heft­zwe­cke für Plan­ar­bei­ten (Kata­log Gebr. Wich­mann, 1940)

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Bild 10 Heft­zwe­cken­he­ber und Ein­drü­cker (Kata­log Gebr. Wich­mann, 1940)

Die den Zwe­cken bei­gefüg­ten Schlüs­sel waren nicht die ein­zi­gen Hilfs­mit­tel zum Schutz von Fin­ger­na­gel und Mes­ser­spitze. Neben sepa­rat erhält­li­chen Einfachst-​Hebern gab es von WEDO den „Reißnagel-​Fix“, eine grif­fige Kom­bi­na­tion aus Drü­cker und Löser, des­sen hoh­ler Kor­pus Reiß­zwe­cken auf­nahm und sogar noch Platz für eine Anlei­tung bot.

Die Reißzwecke

Bild 11 Heftzwecken-​Helfer. Links: Löser (unbe­kann­tes Fabri­kat), oben: „Reißnagel-​Fix“ (WEDO).

Zum Schluss sei noch ein recht unge­wöhn­li­ches Zwecken-​Zubehör genannt, und zwar die Dor­nen­scheibe, die, zwi­schen Papier und Zwe­cke gesetzt, ein Zer­rei­ßen des Papiers an der Ein­stich­stelle ver­hin­dern sollte.

Die Reißzwecke

Bild 12 Dor­nen­scheibe (Kata­log Gebr. Wich­mann, 1940)

Ety­mo­lo­gi­sche Zugabe: Woher kommt das „Reiß“ an der Zwe­cke? „Rei­ßen“ geht zurück auf das alt­hoch­deut­sche „rizan“ und das angel­säch­si­sche „wri­tan“ (von letz­te­rem stammt „write“). Auch wenn man nicht ganz sicher ist, so geht man doch von der Schreib­tech­nik der Runen und damit von der Bedeu­tung „schrei­ben“ und „zeich­nen“ aus; die­ses „Rei­ßen“ lebt wei­ter u. a. im Grund­riss, dem Reiß­brett, dem Anrei­ßen und eben der Reiß­zwe­cke, die das Beschreib­ma­te­rial auf dem Reiß­brett hält. (Quelle: Fried­rich Kluge, Ety­mo­lo­gi­sches Wör­ter­buch der deut­schen Spra­che, 24. Auf­lage, 2002.) – Zur Ety­mo­lo­gie von „Zwe­cke“ siehe „Zweck und Zen­trum“.

Enveloop

Der prak­ti­sche und stil­volle Trans­port von Schreib­ge­rä­ten nebst Zube­hör ist schon eine Her­aus­for­de­rung. Mit zahl­rei­chen Vari­an­ten vom Druck­blei­stift in der Hemd­ta­sche bis zum gro­ßen Sor­ti­ment in zwei­stö­cki­ger Blech­schach­tel habe ich mich die­ser bis­her ver­geb­lich zu stel­len ver­sucht, doch seit ein paar Wochen ist das Roll­mäpp­chen „Enve­loop“ mein Favo­rit und stän­di­ger Begleiter.

Rollmäppchen „Enveloop”

Das in Japan aus Baum­wolle und Wild­le­der gefer­tigte und in drei Far­ben erhält­li­che Uten­sil bie­tet mit zwei kur­zen und vier lan­gen Stift­ta­schen sowie zwei unter­schied­lich gro­ßen Fächern aus­rei­chend Platz. Eine der lan­gen und die bei­den kur­zen Taschen sind etwas brei­ter, so dass sie auch einen Füll­fe­der­hal­ter oder einen dicken Blei­stift­ver­län­ge­rer auf­neh­men kön­nen. Abde­ckun­gen für alle Fächer schüt­zen den Inhalt vor dem Herausfallen.

Rollmäppchen „Enveloop”

Eine nütz­li­che Beson­der­heit des „Enve­loop“ ist die außen ange­brachte Tasche, die das bevor­zugte Schreib­ge­rät auf­nimmt und den Zugriff auf die­ses erleich­tert. Eine gute Idee, finde ich.

Rollmäppchen „Enveloop”

Ver­schlos­sen wird das zusam­men­ge­rollte Mäpp­chen durch Umwi­ckeln mit dem Lederband.

Rollmäppchen „Enveloop”

Das durch­dachte, sehr gut ver­ar­bei­tete „Enve­loop“ wird für Bun­doki her­ge­stellt und kos­tet 5040 Yen (etwa 45 Euro).

Kunst und Konstruktion

Die Ästhe­tik der tech­ni­schen Zeich­nung begeis­tert mich min­des­tens ebenso wie die frü­her dafür benutz­ten Uten­si­lien, und so greife ich mir jedes Buch zur Geschichte die­ser Kunst, das ich bekom­men kann. Nach „The Art of the Engi­neer“ fie­len mir kürz­lich zwei wei­tere in die Hände, und zwar „Zir­kel und Lineal. Kul­tur­ge­schichte des kon­struk­ti­ven Zeich­nens“ von Jörg Sel­len­riek (1987) sowie „Kul­tur­ge­schichte des tech­ni­schen Zeich­nens“ von Alois Ne­doluha (1960).

Kunst und Konstruktion

Beide Bücher sind sehr inter­es­sant auf­ge­macht und ver­spre­chen eine span­nende Lek­türe zu wer­den. Bereits ihre äußere Gestal­tung erfreut mich: Die Kon­struk­tion einer Son­nen­uhr von Albrecht Dürer aus „Underw­ey­sung der Mes­sung, mit dem Zirckel und Richt­scheyt“ (1525) schmückt den Lei­nen­ein­band des ers­ten Titels und die sti­li­sierte Dar­stel­lung eines Zei­chen­kop­fes nebst des­sen Füh­rung den des zweiten.

Kunst und Konstruktion

Sol­che Details finde ich ein­fach klasse.

Nach­trag vom 17.10.10: Ein Aus­schnitt des Lei­nen­ein­bands von „The Art of Mecha­ni­cal Dra­wing – A Prac­ti­cal Course for Draf­ting and Design“ (Wil­liam F. Wil­lard, Popu­lar Mecha­nics 1912, Neu­auf­lage Hearst Books 2009).

Kunst und Konstruktion

Drehmoment

Heute dreht es sich nicht nur um den Blei­stift, son­dern die­ser auch um sich selbst.

Drehmoment

Mit einer Unter­leg­scheibe zum Krei­sel gemacht und auf dem Papier gedreht hin­ter­lässt ein Blei­stift­stum­mel immer wie­der neue Figu­ren und zeigt so auf ganz beson­dere Weise, was noch in ihm steckt.

Drehmoment

An Eng­lish ver­sion of this post can be found at „Tur­ning Point“ in the „Post a Stub“ series at Palim­psest. My thanks to Lito for her translation!

Kokuyo Mirikeshi

Der 72-​jährige Desi­gner Yuji Baba aus Japan hat sich des Pro­blems, beim Radie­ren z. B. in einer Zeile manch­mal auch ande­res ver­se­hent­lich zu ent­fer­nen, erfolg­reich ange­nom­men. Ent­stan­den ist dabei der unge­wöhn­li­che und nütz­li­che Radie­rer „Miri­ke­shi“, der seit einem Vier­tel­jahr beim japa­ni­schen Her­stel­ler Kokuyo im Pro­gramm ist.

Kokuyo Mirikeshi

Hilf­reich für das prä­zise Radie­ren sind schmale Kan­ten, von denen der „Miri­ke­shi“ gleich fünf bie­tet. Sie sind etwa ein sowie drei bis sechs Mil­li­me­ter breit, womit der Radie­rer wohl den meis­ten Auf­ga­ben gewach­sen sein dürfte.

Kokuyo Mirikeshi

Der 50 mm lange „Miri­ke­shi“ hat einen Durch­mes­ser von ca. 23 mm und einen Schu­ber aus trans­pa­ren­tem Kunst­stoff, der ihn schützt und seine Hand­ha­bung erleich­tert. Ebenso wie der Radie­rer und die Hülle ist auch die Ver­pa­ckung – wie so oft bei Pro­duk­ten aus Japan – auf­wän­dig gestal­tet, wobei mich die Ästhe­tik sehr anspricht.

Kokuyo Mirikeshi

Man sagte mir, dass „miri“ (ミリ) für „Mil­li­me­ter“ und „keshi“ (ケシ) für „radie­ren“ stehe.

Kokuyo Mirikeshi

Der „Miri­ke­shi“ radiert gründ­lich, sau­ber und spar­sam. Wer mag, trennt (wie bei Kokuyo gezeigt) eine dünne Scheibe ab und erhält dadurch wie­der neue Kan­ten. – Mit gut 1,60 Euro bie­tet der Radie­rer ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis.

Kokuyo Mirikeshi

Vorne der Pen­tel Graph­Gear 500.

Der „Miri­ke­shi“ ist ein anspre­chen­des Pro­dukt und zudem ein wei­te­res Bei­spiel für die hohe Krea­ti­vi­tät und die Liebe zum Detail, die ich in vie­len japa­ni­schen Schreib­wa­ren sehe und sehr schätze.

Kokuyo Mirikeshi

Zeitreise

Anzeige der J.S. STAEDTLER Inc. in „Civil Engineering” (April 1960)

Vor gut 50 Jah­ren war­ben diese Anzei­gen der J.S. STAEDTLER Inc. für die Qua­li­tä­ten des Mars Dura­lar, dem Vor­gän­ger des Dyna­graph, beim Zeich­nen auf Mylar und heute sol­len sie auf­merk­sam machen auf den her­vor­ra­gen­den Bei­trag „Staedt­ler Mars Dyna­graph pen­cils and leads“ bei pen­cil talk, in dem uns der sehr kun­dige Autor auf einen Aus­flug in die Ver­gan­gen­heit des tech­ni­schen Zeich­nens mit­nimmt. Hin­ge­hen und staunen!

Anzeige der J.S. STAEDTLER Inc. in „Civil Engineering” (April 1960)